1 Jahr
Neues vom Dauerzustand
„Stell Dir vor es ist Krieg und keiner geht hin“. Mit diesem Satz sind wir im letzten Jahrhundert groß worden. Der Sound von Utopie in Zeiten des kalten Kriegs. Das klang vielversprechend und wies uns gewisser Weise den Weg in den Zivildienst.
40 Jahre später nehmen Menschen, die ähnlich wie wir sozialisiert worden sind, öffentlich ihre Kriegsdienstverweigerung wieder zurück. Ohne Wehrhaftigkeit kein Frieden, so lautet der Take der neuen Bellizisten, die – so wie wir alle – immer noch tief erschüttert sind von Putins Praxis einer militanten wie skrupellos brutalen territorialen Selbstbedienungsmentalität. So kommt der Krieg dann am Ende wieder zu uns zurück.
In Deutschland gibt es nun anscheinend grob zwei Lager:
01. Das Team Strack-Zimmermann mit seiner mehr und mehr von der Öffentlichkeit akzeptierten Absichtserklärung die russische Armee vollständig aus der Ukraine mit Hilfe von Nato-Kriegsgerät zurückzudrängen (bevor man überhaupt daran denken mag mit Putin zu reden) und:
02. Team Schwarzer und Wagenknecht, das politische Kräfte dazu bewegen will, schon heute Friedensverhandlungen mit Putin anzustreben. Koste es, was es wolle!
Diese beiden Lager prallen in öffentliche Debatten seit ein paar Wochen nur noch aneinander ab! Wobei doch eigentlich klar sein dürfte, dass parallel zu den Waffenlieferungen auch unsere Diplomat*innen im Hintergrund die ganze Zeit über nicht untätig sind. Also bloß weil die nicht bei Lanz oder Anne Will herumsitzen und großspurig rumpalavern.
Auch die geplante Friedensdemo am kommenden Wochenende in Berlin steht schwer unter Beschuss. Vor allem wegen zweifelhafter Sympathisanten aus fragwürdigen politischen Lagern. Der AfD zum Beispiel. Verständlich! Wer hat schon Lust Seite an Seite mit Neonazis zu demonstrieren.
Aber das es die auf der Seite der Befürworter der entschiedenen militärischen Lösung ganz sicher auch gibt, also die extrem zweifelhafte Sympathisanten, wird in diesem Zusammenhang nur allzu gerne ausgeblendet.
Auch die alten Kriegs-Geschichten aus Vietnam oder Afghanistan als Positiv-Beispiele für die erfolgreiche Wehrhaftigkeit kleiner Staaten gegen Weltmächte anzuführen, bringt die Menschen gerade nicht zusammen. Die Amerikaner haben ihr Vietnam-Trauma immer noch nicht vollständig verarbeitet und der gegenwärtige Zustand in Afghanistan ist eine humanitäre Katastrophe, die gerade nur wegen anderer humanitärer Katastrophen aus dem medialen Fokus geraten ist. Aber, klar: Das westliche Investment und Engagement in der Ukraine wäre nach einem gewonnenen Krieg sicher immens. Dieser Krieg findet schließlich mitten in Europa statt. Darum geht es ja die ganze Zeit.
Dennoch sollte der Wunsch nach raschen Friedensverhandlungen nicht pauschal als weltfremde Scheiße abgetan werden.
Egal, ob die Idee nun von Sarah Wagenknecht, Jürgen Habermas oder der eigenen Oma an uns herangetragen wird. Ein Mensch, der sich Frieden für seine Kinder, für die Soldaten in der Ukraine oder gleich der ganzen Welt wünsch ist auch per se kein Putin-Versteher. Dieses Narrativ ist ganz einfach falsch.
Selbstverständlich wurde die Ukraine vor allem deshalb bisher nicht vollständig von dem russischen Militär eingenommen, weil sie militärische Hilfe aka schweres Gerät von den NATO-Staaten bekommen hat. Das steht komplett außer Frage!
Nur ist die Angst vor einer weiteren Eskalationsstufe eben auch nicht komplett aus der Luft gegriffen. Und die müssen zweifelnde und verzweifelnde Menschen so auch artikulieren dürfen! Und mit entsprechendem Respekt behandelt werden!
Dass man sich natürlich trotzdem nicht von Putin und seinem Schergen einschüchtern lassen darf, dürfte inzwischen auch allen klar sein.
Puh! Oder um jetzt hier und heute endlich einmal auf den Pop zurückzukommen: Kein Soul ohne Gospel (JESUS!), kein Indiepop ohne John Lennon (IMAGINE!), kein Grand Prix der Eurovision ohne Ein bisschen Frieden (NICOLE!).
In diesem Sinne schalten wir hier jetzt fest entschlossen rüber zu unserem liebsten Peace-Vogel Rolf Blumig, der heute nicht nur sein Album „Zirkus Blumig“ veröffentlicht, sondern auch ein Video zum Song Premiumheu für Maxi, in dem es um das (Premium-)Futter für eine Kuh geht (Maxi!).
Die Video-Performance ist eingebettet in die zuckersüße „Blu-Show“ und erinnert mit ihrem Humor und Psychedelic sanft an Rosa von Praunheim (Die Bettwurst) oder Wenzel Storch (Die Reise ins Glück). Auch Captain Beefheart & The Magic Band Feelings beim Rockpalast in den Siebziger Jahren werden später wach.
Wir empfehlen „Zirkus Blumig“ als Vinyl, CD oder digital für jeden Haushalt in Zeiten tiefer Gräben, roter Linien und hedonistischem TikTok-Fun!
Außerdem empfehlen wir heute die neue Folge Dispostion-Podcast mit Philipp Grütering aka Kryptic Joe von der Gruppe Deichkind. Ein vertrautes Gespräch von zwei Kids im gleichen Alter.
Also nochmal: Dass sich der Krieg heute zum 1. Mal jährt, darf auf jeden Fall als Zeichen der Hoffnung – also 1 Jahr erfolgreicher Widerstand gegen Putins Überfallkommando gegen jegliches Völkerrecht – gelesen werden.
Dass es aber eben auch Menschen gibt, die all den neuen Bellizismus in den eigenen Reihen so nicht aushalten können, und sich „einfach“ ein rasches Ende all dieser Gewalt wünschen, finden wir hier nach wie vor komplett nachvollziehbar.
Wenn es uns in nächster Zeit jedenfalls nicht gelingen sollte, diese Lager wieder zu vereinen, werden Putin & Friends ganz sicher eine diebische Freude daran haben!
In diesem Sinne (frei nach dem „Jesus Of Cool“ (Nick Lowe)):
„What’s so funny about peace, love & understanding?!“
oder mit unserem lieben Zirkusdirektor Rolf Blumig:
„Liebe ist überall“
Eure:
Soul, Punk, Folk, Blues, Hip-Hop, Techno & Hippierock sozialisierten peoples aus dem Prenzlauer Berg am 24. Februar 2023.
PS: Herzlichen Glückwunsch an dieser Stelle noch an unser frommes Tochter-Label Fun In The Church und seine Künstler*innen für die Nominierungen des MELT TRIOs und dem MAGNETIC GHOST ORCHESTRA zum Deutschen Jazzpreis. Einmal als bestes Instrumental-Album (Consumer), einmal als bestes Vocal-Album (Magnetic Ghost Orchestra).